Für viele Einsteiger stellt sich zunächst einmal die Frage, was Tango Argentino eigentlich bedeutet. Was unterscheidet ihn vom Standard-Tango, dem europäischen, dem internationalen oder Ballroom-Tango?
Wissenswertes über den argentinischen Tanz, seine Musik und Poesie
Der Tango Argentino ist ein freier und sehr individueller Improvisations Tanz. Im Gegensatz dazu wird der Standard Tango nach festgelegten Schritten getanzt. Er richtet sich nach den Regeln des europäischen oder internationalen Turniertanz Programms.
Der argentinische Tango hingegen ist ein Tanz des Volkes. Auf Wettbewerbe wie bei den Standardtänzen kommt es nicht an. Sie bleiben eher eine Ausnahme, da sie dem individuellen Wesen des Tango Argentino nicht wirklich entsprechen.
Aber der Tango Argentino ist weit mehr als nur ein Tanz. Er ist auch eine eigenständige Musikgattung, für die Argentinien in der ganzen Welt bekannt ist. Außerdem hat der Tango eine besondere Poesie, die oft anspruchsvoll und sprachlich interessant ist. Viele Texte sind in „Lunfardo“ verfasst, dem Dialekt aus dem ehemaligen Gaunermilieu von Buenos Aires. Dieser immer noch gebräuchliche Slang hat viele Wörter aus der italienischen Sprache übernommen.
Von Herz zu Herz
Der Tanz „Tango Argentino“ basiert auf den Körpersignalen des Führens und Folgens. Dabei erfolgt die Führung mit dem Brustkorb statt mit den Armen. Von Herz zu Herz (de corazón a corazón), heißt es in Argentinien. Man tanzt keine festgelegten Choreografien oder Schritt-Kombinationen. Das macht den Tango unendlich variabel und spannend.
Natürlich gibt es auch die Variante des Bühnentango (Tango éscenario). Dieser dient vor allem zur Unterhaltung des Publikums. Er zeigt oft spektakuläre akrobatische Figuren, die vom klassischen Ballett oder Modern Dance beeinflusst sind. Hier sind einstudierte Choreografien nötig, schon allein wenn eine Tänzergruppe synchron tanzen soll.
Das, was die Hobby- oder Profitänzer auf den Tanzflächen der öffentlichen Milongas (Tanzveranstaltungen) beim Tango Argentino zelebrieren, ist jedoch in der Regel reine Improvisation.
Mit jedem Partner, zu jeder Stimmung und Musik tanzt man anders. Die Schritte sind elegant, die Oberkörper meist in enger Umarmung miteinander verbunden. Die Unterkörper und Beine berühren sich dagegen nicht, außer bei bestimmten Figuren. Die Umarmung und das harmonische Gehen im Paar sind die Basis des Tango Argentino. Die Tänzer führen verschiedenste Figuren aus, aber dazwischen kehren sie immer zum einfachen Gehen zurück. Mehr über die typischen Tango Argentino Figuren findet ihr in unserem Lexikon der Tango Schritte.
Tangodanza – Zeitschrift für Tango Argentino
In der Zeitschrift „Tangodanza“ findet ihr spannenden Lesestoff, außerdem viel Wissenswertes und Inspirierendes rund um den Tango Argentino! Das Heft erscheint viermal pro Jahr.
Tangodanza 4/2020: Portrait des Tangolehrer-Paars Constantin Rüger und Judith Preuss
Zur Entstehung des Tango Argentino
Wer Tango Argentino lernen und tanzen will, interessiert sich bald auch für die Geschichte dieses faszinierenden Tanzes. Er entstand um 1900 im riesigen Mündungsgebiet des Río de la Plata. Hier liegen die argentinischen Großstädte Buenos Aires und Rosario sowie Montevideo, die Hauptstadt von Uruguay. Die korrekte Bezeichnung wäre eigentlich „Tango ríoplatense“, also Tango vom Río de la Plata.
Schmelztiegel am Fluss
Millionen von Einwanderern aus aller Welt, vor allem aus Europa, landeten damals in den drei großen Hafenstädten. Der größte Teil von ihnen waren Italiener und Spanier, außerdem kamen viele Franzosen, Engländer, Deutsche, Russen und Polen.
Alle brachten die Musik ihrer Heimatländer mit und verschmolzen sie zu einer neuen Musikrichtung, dem Tango vom Río de la Plata. Dieser erhielt zudem starke Einflüsse der afrikanischen Bevölkerung, die schon seit den Zeiten der Sklaverei dort lebte. Es entstanden Stile wie Candombe, Canyengue und Milonga. Sie gelten als Vorläufer oder frühe Urformen des Tango.
Woher kommt das Wort Tango?
Das Wort „Tango” kommt vermutlich aus dem Afrikanischen und bedeutet „Trommel“. Darüber gibt es jedoch verschiedene Theorien. Wenn man heute Tangomusik hört, kann man immer noch das Heimweh, die Melancholie und Sehnsucht der Einwanderer nachempfinden, die aus den Melodien und Texten erklingen.
Einfluss der Italiener
Besonders die Gruppe der italienischen Einwanderer trug viel zur Entstehung des Tango Argentino bei. Die meisten Tango-Musiker, Komponisten und Dichter tragen auch heute noch italienische Nachnamen. Die Italiener integrierten Melodien von neapolitanischen Liedern, dann kamen Einflüsse von Wiener Walzer, Polka, Foxtrott, Habanera und anderen Stilen hinzu.
Der Klang des Bandoneons
Schließlich formte sich der ganz eigene, typische Klang. Dieser ist auch durch das Bandoneón charakterisiert, ein Harmonika-Instrument deutscher Herkunft. Es ähnelt einem Akkordeon, hat jedoch keine Tasten, sondern beidseitig Knöpfe. Das Bandoneón gilt als schwierig zu erlernen und wurde zum Symbol für den Tango. Es verleiht der Musik ihren besonders melancholischen Ausdruck. Mit der Zeit entwickelten sich die am meisten getanzten und gespielten Musik- und Tanzstile: der Tango selbst, der Vals (Tango im Walzertakt) und die Milonga, eine schnelle, rhythmusbetonte Variante.
Das goldene Zeitalter – die Época de Oro
Bereits in den 1910-er und 20-er Jahren war der Tango populär. Aber die Zeit ab Mitte der 30-er bis Ende der 40-er Jahre des letzten Jahrhunderts gilt als goldenes Zeitalter des Tango (Época de Oro). Es entstand eine große Vielfalt an Orchestern, tausende von Kompositionen und Texten wurden geschrieben. Die Orchester nahmen unzählige Schallplatten auf. Der Tango Argentino wurde überall live gespielt und als Gesellschaftstanz in der ganzen Welt berühmt. Er wurde zum Modetanz der Stunde, in Buenos Aires wie in Wien, Paris, Berlin, Tokio oder Helsinki. Zeitweise wurde der Tangotanz vom Papst verboten, da er als zu erotisch angesehen wurde. Das konnte seiner Beliebtheit jedoch wenig anhaben!
Die großen Vier des Tango Argentino
Als zentrale Figuren des Tango gelten Juan d’Arienzo, Carlos di Sarli, Osvaldo Pugliese und Aníbal Troilo. Sie waren die großen vier Orchester-Leiter jener Zeit. Sie komponierten viele erfolgreiche Tangos und gaben ihren Orchestern (Orquesta típica) einen unverwechselbaren Klang.
Weitere Namen der berühmtesten Musiker und Orchester findet man in unserem Tangolexikon. Allen voran steht der argentinische Sänger und Nationalheld Carlos Gardel, der als erster einen gesungenen Tango auf der ganzen Welt populär machte. Später glänzte er auch als Schauspieler in mehreren Tango-Filmen.
Zeit des Umbruchs und Tango Nuevo
Nach der Época de Oro folgten weitere kreative Jahrzehnte. Gegen Ende der 50-er Jahre verlor der Tango jedoch langsam an Popularität, der Rock’n Roll und die Popmusik kamen auf und verdrängten ihn. Die jungen Leute wollten lieber zu den neuen Rhythmen tanzen. Der Komponist und Bandoneon-Spieler Astor Piazzolla gab dem Tango Argentino noch einmal neue Impulse und machte ihn konzertant. Viele Jazzfans waren von seinem „Tango Nuevo“ begeistert. Das argentinische Volk war allerdings geteilter Meinung, da seine Kompositionen als nicht tanzbar galten. Heute wird seine Leistung auch im eigenen Land hoch geschätzt.
Zeit der Siesta und Neubeginn
Während der düsteren Zeit der argentinischen Militärdiktatur von 1976-83 kam die Tangokultur fast völlig zum Erliegen. Öffentliche Versammlungen waren verboten, und Tanzveranstaltungen gehörten dazu. Trotzdem gab es einen Kern von Tänzern und Musikern, die den Tango am Leben erhielten.
Zeit der Erneuerung
Ab Mitte der 80-er Jahre erlebte der Tango dann eine Renaissance. Die argentinischen Showproduktionen „Tango Argentino” und “Tango Pasión” mit Tango-Ikone Alejandra Mantiñan tourten durch die ganze Welt und fanden begeisterte Anhänger. Plötzlich gab es wieder viele Menschen, die Tango tanzen lernen und Unterricht nehmen wollten. Tanzschulen für Tango Argentino wurden gegründet, es gab Workshops und Kurse. Junge argentinische Musiker lernten die Musik ihrer Großväter zu spielen. Bald wurden auch wieder öffentliche Milongas (Tango-Tanzfeste) veranstaltet. Die neue Tango-Welle breitete sich in der ganzen Welt aus, ähnlich wie schon einmal Jahrzehnte zuvor.
Anfang der 2000-er wurde eine neue Musikrichtung populär: die in Paris lebenden Exil-Argentinier Gotan Project erfanden den „Elektrotango” und veröffentlichten die CD „La Revancha del Tango”. Diese wurde ein Welterfolg und eroberte sich bald einen festen Platz in allen Club-Charts. Damit vervielfachte sich das weltweite Interesse am Tango Argentino.
Elektro- und Neotango
Weitere Bands wie Otros Aires oder Bajofondo folgten dem neuen Stil. Auch der Tanz wurde passend zum modernen Sound weiterentwickelt. Man tanzte „Neotango” oder „Tango Nuevo”, der sich durch ausladende, weiche Bewegungen und oftmals Aufgabe der eigenen Körperachse auszeichnet.
So entstand ein ganz neuer Ausdruck des Tanzes. Der argentinische Tänzer Chicho Frumboli entwickelte viele Figuren des Neotango und gilt seither als Ikone dieser Stilrichtung.
Der Tango Argentino heute
Inzwischen ist der Neotango und Elektrotango vor allem in Argentinien nicht mehr ganz so häufig auf den Milongas vertreten. In der dortigen Tangoszene kehrt man wieder zurück zu den Wurzeln, also zum traditionellen Tango. Man legt auch wieder mehr Wert auf die traditionell überlieferten “Códigos de la Milonga”, die Spielregeln für ein harmonisches Miteinander der Paare auf der Tanzfläche. Die raumgreifenden Bewegungen des Neotango hatten sich dafür doch als störend erwiesen. Dennoch sind in den Tanz viele Elemente des Neotango eingeflossen. Sie werden heute nur etwas dezenter und raffinierter ausgeführt.
Stilrichtungen des Tango Argentino
Weitere Tango-Argentino-Stile, die heute getanzt und auch miteinander vermischt werden, sind: Tango de Salon, Tango Milonguero oder Canyengue – mehr Info dazu in unserem Tango-Lexikon.
Junge Tango-Orchester und -Musiker haben in den letzten Jahren mit neuen Interpretationen traditioneller Tangos und eigenen Kompositionen viele Fans gewonnen. Auf ihren Reisen um die Welt haben sie ein treues und ständig wachsendes Publikum. Zu nennen wären hier z. B. das Sexteto Milonguero, Orquesta Misteriosa Buenos Aires, Orquesta Romántica Milonguera, La Juan D‘Arienzo, Carlos Quilici oder Cuarteto Mulenga. Auch europäische Ensembles wie Bandonegro mit ihren frischen Versionen der Klassiker haben eine wachsende Fangemeinde.
Weltweite Verbreitung
Heute kann man auch außerhalb von Argentinien in fast allen Großstädten der Welt Tango tanzen. Dank der medialen Verbreitung von Tango-Videos findet man auch an entlegenen Orten eine Milonga oder kann einen Kurs besuchen. Man trifft sich zudem auf Festivals und Marathons, um die gemeinsame Tanzleidenschaft auszuleben. Außerdem gibt es sogenannte Encuentros, wo sich Tangotänzer auf einem hohen Level treffen.
Lektüre und Filme zum Tango Argentino
Tango-Enzyklopädie
Wer mehr über den Tango Argentino erfahren möchte, dem empfehlen wir die Webseite Todo Tango: Eine Enzyklopädie auf Englisch und Spanisch, in der man alles über Musiker, Orchester, Tango-Titel, Texte etc. erfährt.
Artikel über Códigos
Auf dem Autorenportal Pagewizz wurde von Fabián Lugo der Artikel „Tangotanzen mit Stil” über die Códigos de la Milonga (Milonga-Regeln) veröffentlicht. Hier kann man weitere interessante Details zu den Umgangsformen in der Welt des Tango erfahren.
Tangofilm-Nächte
Ralf Sartori (Tango à la carte) hat bis 2019 über 50 verschiedene Tangofilme gezeigt, immer im Wechsel zwischen zwei Kinos. Hier findet ihr sein Film-Archiv als internationales Tangofilm-Lexikon. In der Umgebung von München veranstaltet Ralf Sartori regelmäßig Tangofilm-Nächte mit After-Film-Milonga auf Schloss Seefeld, außerdem Tangofilm-Vorführungen im Kino Breitwand Gauting, ebenfalls mit Tanz danach.
Zeitgenössische Filme
- „Tango Lesson“ von Sally Potter mit Pablo Verón
- „Assassination Tango“ mit Robert Duvall
- „12 Tangos – Adios Buenos Aires“ von Arne Birkenstock, Musik von Luis Borda
- „Der letzte Applaus“ von Germán Kral
- „Ein letzter Tango“ von Germán Kral
- „Tango Libre“ mit Chicho Frumboli
Sachbücher
- „Tango“ von Horacio Salas
- „Tango-Geschichten“ – Musikerporträts von Michael Lavocah
- „Tango – Verweigerung und Trauer“ von Dieter Reichardt
- „Tango – die einende Kraft des tanzenden Eros“, Ralf Sartori
- „Tango global“ weltweite Buchreihe zum argentinischen Tanz, Ralf Sartori
Filme aus dem goldenen Zeitalter
- „Las Luces de Buenos Aires“ mit Carlos Gardel
- „Tango Bar“ mit Carlos Gardel
- „El Tango en Broadway”, ebenfalls mit Carlos Gardel
Romane
- „Im Himmel Tango“ von Elsa Osorio
- „Drei Minuten mit der Wirklichkeit“ von Wolfram Fleischhauer
- „Der Tangosänger“ von Tomás Eloy Martinez
Zeitschriften
- Tangodanza (deutsches Tangomagazin)
- El Tangauta (spanisch)
- La Milonga Argentina (spanisch)
Tango-Ausrüstung
Als Tangotänzer/in braucht man neben geeigneter Kleidung auch passende Schuhe. Es gibt immer mehr Anbieter für speziell für den Tanz entwickelte Tangoschuhe. Ebenso findet man viele Hersteller von geeigneter und eleganter Tanzmode.
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Titelfoto: Pixabay, weitere Fotos: Thomas Lackner, Mikael Holber (Tangodanza)
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