Wie wäre es, wenn man alle verfügbaren Tangofilme aus der ganzen Welt, seien es Spielfilme oder Dokumentationen, historisch oder zeitgenössisch, dem interessierten Publikum im Kino vorführen könnte? Vor sieben Jahren stellte sich der Tangolehrer, Buchautor und Veranstalter Ralf Sartori diese Frage. Bald darauf rief er eine weltweit einzigartige Tangofilm-Reihe ins Leben, die noch lange nicht ihrem Ende entgegen sieht.
„Tango im Kino“ – die Filmreihe mit Open End
Im November 2013 startete die internationale Filmreihe unter dem Titel „Tango im Kino“. Der Eröffnungsfilm war „Mittsommernachtstango“, ein humorvoller Dokumentarfilm über den Tango in Finnland. Er lief im Kino Breitwand auf Schloss Seefeld am Ammersee. Die Besonderheit: Im Anschluss an den Film gab es eine kurze Einführung in den Tangotanz und danach eine Milonga. Diese Kombination von Filmvorführung mit Tanz wurde von den Zuschauern mit Begeisterung angenommen, sodass sich die monatlichen „langen Tangonächte“ schon bald fest etablierten.
Zu Anfang hatte Ralf Sartori noch Zweifel, ob er überhaupt „mehr als 25“ Tangofilme für seine Vorführungen finden würde. Doch je intensiver er nach passenden Filmen forschte, desto mehr Entdeckungen machte er. Dadurch konnte er die Filmreihe während sieben Jahren immer weiterführen, und das fast ohne Wiederholungen. Jeden letzten Freitag im Monat, zeitweise auch alle zwei Monate, findet die Veranstaltung „Tango im Kino“ bis heute statt. Im Jahr 2016 kam eine zweite Location hinzu: Das Kino Breitwand Gauting. Seither werden die Filme abwechselnd dort und im Kino auf Schloss Seefeld gezeigt. Wenn sie nicht deutschsprachig sind, haben sie entweder englische oder deutsche Untertitel. Bis August 2020 waren es bereits 57 Dokumentar- und Spielfilme, und es geht weiter – auf unbestimmte Zeit!
Von den 30er Jahren bis heute: Tangofilme aus aller Welt
Die Tangofilme, die bisher in der Reihe „Tango im Kino“ gezeigt wurden, reichen von spannenden Künstlerportraits über Tangomusik-Dokus bis hin zu anspruchsvollen Spielfilmen. Entweder ist der Tango unmittelbar das Thema oder er trägt wesentlich zum Charakter der Filme bei. Die ersten Spielfilme aus den 30er Jahren mit Carlos Gardel sind von historischem Wert, während einige der modernen Werke mit perfekter Filmtechnik aufwarten können. Andere sind einfach bodenständige, ungeschminkte Dokumentationen am Puls der Realität.
Spannend ist dabei, welch „exotische” Herkunft manche Filme haben. Länder, die man auf Anhieb nie mit dem argentinischen Tanz in Verbindung bringen würde, haben teilweise eine eigene „Tangoszene” entwickelt, mit Milongas, Unterricht und sogar Orchestern. Beispiele dafür sind Südkorea, Lettland, Singapur, Indien, Israel, Panama, die Türkei oder Hawaii. Dies ist sicher auch der weltweiten Verbreitung von Tangovideos auf Youtube zu verdanken, außerdem den vielen argentinischen Show-Tanzpaaren und Lehrern, die in den letzten drei Jahrzehnten die ganze Welt bereist haben. Aber es gibt auch Länder, die bereits seit der Goldenen Ära des vorigen Jahrhunderts eine lange Tango-Tradition pflegen, zum Beispiel Finnland oder Japan.
Film-Raritäten auf der großen Leinwand
Viele Tango-Fans kennen bereits Filme wie „Tango Lesson“ von Sally Potter, „Sur“ von Fernando Solanas oder „Ein letzter Tango“ von German Kral. Diese haben eine größere Öffentlichkeit erreicht, zumal sie auch schon in anderen deutschen Kinos liefen und dort das Publikum begeisterten. Es gibt jedoch überraschend viele weitere interessante Tangofilme, die wenig bekannt sind. Sie hätten sonst kaum eine Chance auf dem deutschen Kinomarkt, weil sie sich speziell an die Zielgruppe der Tango-Aficionados richten. Aber dank der Reihe „Tango im Kino“ kommen die Zuschauer nun in den Genuss, diese Film-Raritäten auf der großen Leinwand sehen zu können. Viele der älteren Filme werden somit auch vor dem Vergessen bewahrt!
Ausführliche Beschreibungen, Bilder und Hintergrundwissen zu allen gezeigten Filmen findet man auf der Webseite von Ralf Sartori in seinem Tango-Filmarchiv, das in dieser Form sicher auch einmalig ist. Zwei Beispiele der Filmreihe möchten wir hier vorstellen: „Ein letzter Tango (Un Tango Más)“ von German Kral und „Si Sos Brujo“ von Caroline Neal.
„Ein letzter Tango“ von German Kral
Bei diesem Tangofilm geht es um das berühmteste Tanzpaar des vorigen Jahrhunderts, Maria Nieves und Juan Carlos Copes. Nachdem sie sich während ihres langen, turbulenten Lebens geliebt und gehasst, getrennt und wieder vereint haben, betreten sie in einer bewegenden Szene des Films ein letztes Mal gemeinsam die Bühne. Der Film ist eine wunderbare Mischung aus Dokumentation und Spielfilmszenen. Er zeigt Rückblenden auf die frühe Jugend des Paares in Buenos Aires und auf die Zeiten des großen Erfolgs, aber auch des Streits in ihrem Erwachsenenleben. Diese „Zeitreisen“ werden von zwei jüngeren Tango-Paaren nachgespielt. Eine wichtige Aussage des Films ist, dass der Tango, so wie wir ihn heute kennen, wohl ohne die Arbeit von Juan Carlos Copes nicht mehr existieren würde. Die Bilder sind atmosphärisch dicht, die Kameraführung ist exzellent, und so bekam der Film 2016 den Bayerischen Filmpreis für die beste Kamera.
„Si Sos Brujo“ von Caroline Neal
Der Titel dieses Dokumentarfilms aus Argentinien lautet auf Deutsch etwa: „Wenn du ein Hexer bist“. Die amerikanische Filmemacherin Caroline Neal begleitet einen jungen Tangomusiker auf seiner Suche: Er will die noch lebenden Interpreten und Komponisten der Goldenen Ära des Tango finden, um von ihnen zu lernen. Sein Ziel ist es, die traditionelle mündliche Überlieferung ihrer Spielweise festzuhalten, bevor sie für immer verschwindet. Er kann mit einiger Mühe den legendären Komponisten und Geiger Emilio Balcarce von seiner Idee überzeugen, in Buenos Aires eine Musikschule zu gründen, in der junge Musiker die Geheimnisse der alten Maestros kennenlernen können. Es ist faszinierend, mit welchen Tricks diese aus Geigen Percussions-Instrumente machen oder dem Bandoneón wahre Donnerschläge entlocken konnten. Ein Tangofilm für Musikliebhaber!
Tangofilme als Beiträge zum Fünfseen Film Festival
Jedes Jahr wird überdies ein ausgewählter Tangofilm der Reihe als offizieller Beitrag auf dem internationalen Fünfseen Film Festival gezeigt. Dies ergab sich aus der Zusammenarbeit von Ralf Sartori mit der Festival-Leitung. Der Beitrag des Jahres 2020 ist der einfühlsame Dokumentarfilm „Joyride with Sexteto Milonguero“ der ungarischen Regisseurin Eszter Nordin. Es handelt sich dabei um ein Roadmovie über eines der beliebtesten modernen Tango-Orchester, das vor Kurzem seine Auflösung bekannt gegeben hat. Insofern ist es eine Art „Abschiedsvorstellung”. (Der Film läuft am 27. August um 20 Uhr im Kino Breitwand Schloss Seefeld.)
Preisgekröntes Filmprogramm – die Kinos
Das Kino Breitwand Schloss Seefeld liegt im romantischen Innenhof des Schlosses aus dem 15. Jahrhundert am Ammersee. Der Vorraum empfängt die Besucher mit einer kleinen Café-Bar. Es gibt zwei Kinosäle: einen größeren im Obergeschoss und die Kino-Lounge im Erdgeschoss, die mit bequemen Ledersofas eingerichtet und barrierefrei ist. Hier werden die besonderen Filme gezeigt, die oft in der Großstadt nicht zu sehen sind. Überdies dient der Raum für Lesungen, Live-Musik, Ausstellungen – oder auch zum Tanzen!
Im Gegensatz dazu ist das Kino Breitwand Gauting ein modernes, großes Lichtspielhaus mit fünf Sälen und einem Restaurant. Matthias Helwig, der Betreiber der Kinos, zeigt hier außer dem Hauptprogramm interessante Filmreihen wie zum Beispiel eine Fellini-Werkschau, Jazz im Kino oder Screwball Comedies – und eben „Tango im Kino”.
Das Kino Breitwand Starnberg hat zwei barrierefreie Kinosäle und ebenfalls ein Café. Alle drei Breitwand Kinos erhielten schon mehrfach Preise für ihre Programmstruktur. Beispielsweise ging 2013 der Spitzenpreis für das beste Jahresfilmprogramm an das Kino Schloss Seefeld. Zuletzt wurde das Kino Gauting im Jahr 2019 vom FilmFernsehfonds Bayern mit der Spitzenprämie als Bestes Kino in Bayern ausgezeichnet.
Kino und Milonga – die langen Tangofilm Nächte
Den Ablauf einer typischen „Tango im Kino“-Nacht auf Schloss Seefeld oder in Gauting kann man sich so vorstellen: Beginn der Tangofilme ist in der Regel um 19.30 Uhr. Nach dem Film bieten Ralf Sartori und seine Tanzpartnerin Janine Holzer eine Einführung in den argentinischen Tangotanz. Alle „Neulinge“ können deshalb schon beim anschließenden Tangofest, der Milonga, mittanzen. Danach öffnet die Tangobar im jeweiligen Kino, zum Tanzen zu den schönsten Tangos, aber auch zum Plaudern und Kontakte knüpfen. Die lange Tangonacht dauert bis 00.30 Uhr.
Aufgrund der derzeitigen Corona-Situation sind die Tanz-Einführung und die Milonga leider ausgesetzt. Stattdessen gibt es aber eine „Gesprächs-Milonga“ in der Kino-Lounge, bei der man sich im lockeren Rahmen über den Film und alle sonstigen (Tango-)Themen austauschen kann.
Über den Veranstalter
Ralf Sartori tanzt seit über drei Jahrzehnten Tango Argentino. Er hat zahlreiche Milongas organisiert und ist der Autor vieler bekannter Bücher zum Thema Tango. Eins seiner aktuellen Projekte ist die Buchreihe „Tango Global“ mit einer Sammlung von Essays. Auf seiner Webseite Tango à la carte findet man eine Fülle von wissenswerten Infos rund um den Tango Argentino und natürlich alles über die gezeigten Tangofilme.
Wir wünschen allen Zuschauern viel Spaß bei „Tango im Kino”!
Weitere Links
Kino Breitwand Schloss Seefeld
Das Kino im romantischen Hof von Schloss Seefeld am Ammersee
Kino Breitwand Gauting
Modernes, großes Kino mit 5 Sälen, Lounge und Bar
Internationales Fünfseen Film Festival
Die deutsche Zeitschrift Tangodanza bietet in ihrem Webshop diverse Tangofilme an. Einige der im Kino gezeigten Filme kann man hier auf DVD finden!
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Wir bedanken uns bei allen Filmproduzenten und den Kinos für die freundliche Überlassung ihres Bildmaterials.
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